Rapunzel im Turm der Einsamkeit
Das Rapunzel-Syndrom
Ein Fallbeispiel:
Eine Klientin, Frau mittleren Alters kommt in meine Praxis, klagt über diffuse Ängste die sie nicht näher beschreiben kann. Sehr prominent ist, wie sie immer wieder erlebt, „nicht dazu zu gehören“. Sie fühlt sich immer abseits von Gruppen, nie wirklich willkommen und hat das Gefühl für die anderen nicht interessant genug zu sein. Gleichzeitig erledigt sie ihre Arbeit viel schneller als Kollegen, kann anregende Gespräche führen und fällt durch schnelles und analytisches Denken auf. Ich vermute eine Hochbegabung. Mit einer gewissen Überheblichkeit beschreibt sie, wie sie sich dann zurück zieht und ihr eigenes Ding macht, wenn sich keiner für sie interessiert. Sie gehöre ja sowie so nicht hier her, sondern in eine andere Welt.
In Beziehungen habe sie immer wieder das Problem, dass ihr Partner sie nicht verstehe. Es kommt zum Streit und sie kann plötzlich nichts mehr sagen. Es ist wie leer in ihr. Es gibt für sie immer etwas zu tun – Pausen sind verschwendete Zeit. Sie ist vielseitig interessiert und sucht sich immer wieder Herausforderungen. Leider kommt sie ihrem eigenen Zeitplan nicht hinterher und ist stets unzufrieden mit sich , weil sie am Ende des Tages ihr Aufgabenpensum wieder nicht erreicht hat.
Die bioenergetische Analyse:
Die bioenergetische Analyse erklärt die schizoide Persönlichkeitsstruktur – die hier vorliegt – damit, dass das Lebensrecht, in dieser Welt willkommen zu sein, verweigert wurde. Das bedeutet, dass möglicher Weise, das Menschenkind in der Schwangerscahft oder wahrscheinlicher, im ersten Lebensjahr, lebensfeindliche Erfahrungen gemacht hat…..also, sich nicht willkommen fühlt…nicht gewollt fühlt. Dieses Gefühl kann sich durch das ganze Leben ziehen und auch im Erwachsenenalter wieder auftauchen. Das ursprüngliche Erlebnis des Kindes ist ein subjektives Erleben. Es beschreibt ein emotionales Mangelerlebnis, welches natürlich viele Einflussfaktoren hat. Das Kind hat noch keine Worte für sein Unbehagen – so auch nicht als Erwachsene, wenn sie in die Erstarrung fällt. Das Kind kann sich selbst nicht helfen…nur „aushalten“, „abwarten“. Auch hier findet sich das Bild der „Erstarrung“ wie es auch die erwachsene Klientin beschreibt. Dem Kind bleibt nur die Abgrenung von „der Welt“ um das eigene Selbst zu schützen.
Worum geht es?
Therapeutisch gilt es den Reflex der „Differenzierung auf der Weltebene“ zu erkennen, in den Situationen zu identifizieren, zu überwinden. Um dann die „Differenzierung auf der personalen Ebene“ zu ermöglichen und zu üben.
Emotional geht es um Vertrauen. Vertrauen in das Gegenüber, in das Leben, in sich selbst. Vertrauen, das das tiefe Misstrauen in die Welt ablösen darf.
Und Rapunzel…?
Rapunzel darf früher oder später von sich aus Kontakt zur Welt aufnehmen und sich willkommen fühlen. Sie darf andere an sich heran kommen lassen, im Vertrauen, dass sie dem Geschehen nicht hilflos ausgeliefert ist, dass sie auch in schwierigen Situationen nicht in ihrer Existenz bedroht sein muss.
Rapunzel daf von ihrem Turm der Einsamkeit herunter kommen, im Vertrauen darauf, dass sie sich diese Auszeit auch wieder nehmen darf, wenn sie es für notwendig hält.
Und Rapunzel darf sich in den Arm nehmen lassen und halten lassen, so wie es ihr als kleiner Mensch wohl verwehrt wurde.